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Von den Bibelfliesen zur Fliesenbibel

„Der Mensch, das Augenwesen, braucht das Bild“ (Leonardo da Vinci). Und weil das so ist, umgeben sich Menschen heute gerne mit Bildern. Kinder und Jugendliche pinnen sich zum Beispiel die Poster ihres Lieblingsvereins, ihres Idols oder Abbildungen aus Computerspielen an die Wände. In den Wohnzimmern hängen Gemälde, Wandteller, Bilder der Familie und von Freunden oder großformatige Fotos, die in glückliche Urlaubsmomente zurückversetzen. Wir umgeben uns mit Bildern und mit Dingen, die wir gerne „vor Augen“ haben möchten. Nur wenige Menschen bevorzugen kahle Wände. Das war nicht immer so. Vor einigen hundert Jahren war es das Vorrecht der Wohlhabenden, das Haus oder die Wohnung mit Bildern zu schmücken.

Die Bibelfliesen

Und als dann seit dem frühen 17. Jahrhundert im calvinistisch geprägten Norden Hollands das Bilderverbot (2. Mose 20,4–5) in Kirchen streng umgesetzt wurde, ließen sich wohlhabende Gläubige als stillen Protest gegen diese Maßnahme einfach Fliesen mit aufgemalten biblischen Szenen nach den Vorlagen alter Meister anfertigen.

Als die „Glasierten Predigten“ im 18. und 19. Jahrhundert zur erschwinglichen Massenware wurden, fanden sie bei vielen einen Platz mitten im Familienleben, z. B. an den Wänden, am Herd in der Küche oder am Kamin. Obwohl sie im engeren Sinne „nur“ Baumaterialien und Merkmale niederländischer Wohnkultur sind, regten die Fliesen zum Erzählen und zum Austausch in der Gemeinschaft an. Selbst Familienmitglieder, die nicht lesen konnten, fanden so einen Zugang zu den biblischen Geschichten. Von friesischen Gastarbeitern aus den Niederlanden wurden solche Fliesen auch nach Deutschland gebracht, wo man sie im Norden noch heute vereinzelt in alten Bauernhöfen findet.

Es gibt 600 verschiedene Bibelmotive, die auf die Fliesen gemalt wurden. – Diese Fliesenbilder setzen „biblische Geschichten in eine kurze und klare Bildersprache und ermöglichen so eine starke Präsenz und eine permanente Auseinandersetzung mit der biblischen Botschaft.“ ( Prof.Julia Helmke, Oberkirchenrätin in Hannover)

Die Bibelfliesen werden zu Recht als „Ikonen des Nordens“ , als „Glasierte Predigten“ oder als „Miniaturen der Liebe Gottes“ bezeichnet.

Auch uns erzählen die Fliesen heute noch ihre Geschichten. Sie lassen uns mutmaßen und fantasieren und verbinden uns mit den Menschen, die diese 13 cm x 13 cm kleinen Schätze vor fast 400 Jahren geschaffen haben.

Die Fliesenbibel

Die Begeisterung für das fast vergessene Kulturgut steckte immer mehr Liebhaber*innen der Bibelfliesen um den Pfarrer i.R. Kurt Perrey an. Es bildete sich aus Ehrenamtlichen der „Ökumenische Arbeitskreis – Kulturgut Bibelfliesen“, in dem der Traum von einer ganzen Bibel, die mit den Fliesen illustriert wird, reifte. Nach „Einwerben von Finanzmitteln und Verhandlungen mit der Deutschen Bibelgesellschaft gelang dem Kirchenkreis Norden (Norder Bibelfliesenteam) als Herausgeber in Kooperation mit der Ostfriesischen Bibelgesellschaft dann 2008 der Coup: Eine Fliesenbibel, die alle 600 Motive enthielt“. (Julia Helmke) Das Besondere an dieser Bibel: Sie illustriert den Text immer genau an der dazu passenden Bibelstelle und lässt sie dadurch zu einer Bilderbibel werden. Das heißt in der Umsetzung aber auch, dass man auf manchen Doppelseiten bis zu acht Abbildungen findet und dann wieder Seiten ganz ohne Abbildung.

In dieser Form ist den Herausgebern ein 1400 Seiten starkes Lese- und Bilderbuch gelungen, bei dem sich Text und Bild gegenseitig durchdringen und animieren, sich beim Aufschlagen der Bibel jedes Mal neu mit dem AT und NT auseinanderzusetzen. Margot Käßmann schreibt in ihrem Geleitwort zur Fliesenbibel 2008: „Die Fliesenbibel eröffnet uns neue wertvolle Zugänge zu den biblischen Gedanken, die unser Leben tragen.“

Text BERND DRÖSE

Kurt Perrey (Hsg.): Fliesenbibel (Gute Nachricht Bibel),
1488 S., 600 Farbabbildungen, Deutsche Bibelgesellschaft.
ISBN 978-3-438-01556-3, 34,90 Euro

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